Montag, 16. Februar 2009

Der Blinde mit den nassen Augen

Ich habe kein Auto.
Eigentlich habe ich kein Auto mehr.
Als ich nach Köln gezogen bin, hat sich die Notwendigkeit eines eigenen Wagens relativ schnell in Luft relativiert (relativ relativiert HAHA!).
In Köln kriegt man a) nirgendwo einen Parkplatz und wenn man b) doch einen bekommt, dann sind die Gebühren für die Parkzeit derart astronomisch hoch, dass man auch direkt Taxi hätte fahren können.
c) Außerdem ist Auto fahren in Köln, speziell für Zugezogene, oder Imis , wie man sie hier nennt schwierig, nervig, ärgerlich und noch viel Schlimmeres. Imis steht für Imitierende, also die unnachahmliche, kölsche Lebensart nachahmen (unnachahmlich nachahmen HAHAHA).
Weil c1) man nirgendwo links abbiegen kann. NIRGENDWO. Kilometerlange Umwege, dekadenter und umweltzerstörender Spritverbrauch und das bei den heutigen Preisen, beziehungsweise dem heutigen Stand der Umwelt. Also dem katastrophalem Stand unseres Planeten. Man ist ja quasi schon als Beifahrer mit einer nie mehr zu rehabilitierenden Schuld ausgestattet. Der ökologischge Fußabdruck eines jeden Autofahrers ist ja sozusagen nie mehr wieder gut zu machen. Das wissen wir, weil uns uns Leute wie Al Gore, Brad Pitt, seine Alte, der Clooney George und andere superreiche Mega Jetsetter höflich und pädagogisch korrekt darüber in Magazinen wie Vanity Fair informieren. Der geil aussehende Clooney George sieht geil aus, trägt nur geilsten Zwirn, macht nur politisch korrekte Dinge, vögelt geil aussehende Weiber (obwohl seine Freundinnen nicht so geil aussehen, wie es sich für jemanden seines optischen Kalibers eigentlich gehört) und nachdem er gerade wieder politisch korrekt eine weggenudelt hat, trinkt er seinen Nespresso, der aus einer kleinen Alukapsel gebrüht oder geschossen oder beides worden ist. Ob der Kaffe in den Nespressoalukapseln wohl Fair Trade ist?
Bei aller Sympathie und Neid, die ich dem Clooney George entgegenbringe (wenn ich groß bin, will ich sein wie er), glaube ich, dass der ökologischge Fußabdruck meiner Nachbarin (mitte fünfzig, sieht nicht so geil aus wie die Alte von Brad Pitt, Bahnfahrerin, Katzenbesitzerin und einfach: nette Nachbarin) um ein Vielfaches kleiner ist, als der von Clooney und seiner Posse.

c2) Alle Autofahrer in Köln sind entweder Drängler, die einen die ganze Zeit mit ihren Prollschüsseln auf deren Heckscheibe in gothischen Lettern die Worte "Kölsch Bloot" prangen an der hinteren Stossstange kleben, als wollten sie auf Teufel komm raus so platzsparend wie es geht über die Strassen gleiten und deswegen keinen Zentimeter Asphalt ungenutzt lassen und erst recht nicht den hinter dem Vordermann (mir), oder c3) es sind totale Schleicher, die in der fuffziger Zone mit 48 KmH dahinkriechen und siechen. Die machen einfach keinen Paltz, egal wie sehr man ihnen am Autoarsch klebt und sind noch schlimmer als die Kölsch Bloot Prolls.
c4) Kommentare über die Fußganger in Köln verkneife ich mir, weil man mich sonst für einen alten Meckersack halten könnte (bin erst 34), der zum Lachen in den Keller geht (hab diesen Spruch noch nie verstanden. Ist doch egal, wo einer lacht. Hauptsache ist doch, dass er lacht).

Wegen a), b), c), c1-3 fahre ich also in Köln kein Auto.
Ich hab's verkauft.
Meinen guten, alten Wagen.
Verkauft.
Mein damaliges, klammes Konto (eigentlich war es nicht mehr klamm, sondern so nass, wie es irgendwie nur geht und noch mehr) wollte ich mit dem Erlös aus dem Verkauf, wenn schon nicht trocken legen, so doch in einen klammen und erträglichen Zustand versetzen.
1500 Schleifen, Möppen, Kröten, Scheine, Taler, Euronen sollte mein Wagen ungefähr auf die wirtschaftliche Schwacke Waage bringen.
Bis zum Verkauf nur noch eine letzte Fahrt.
Eine würdige Fahrt.
Ein guter Abgang für den Wagen und mich.
Für uns.

Zum Metallica Konzert nach Holland, Arnhem.
Im Jahre 2006 des Herrn Hetfield.
Ich war heiß auf das Konzert wie Frittenfett.
Als ich mit 15 Metallica zum ersten Mal live gesehen habe, habe ich mir geschworen immer zu ihren Konzerten zu gehen.

Bis auf Rock am Ring 1998, wo sie den Headliner gegeben haben, das Metallica und Symphonie Konzert in Berlin 1999, bei dem ich fiebrig zu Hause danieder lag, und einem Spezialkonzert in Hamburg in 1997 (glaub ich), konnte ich das Versprechen meines Jugendlichen Ichs immer erfüllen.
Ich befand mich also auf der letzten Fahrt mit meinem PKW, die Sonne schien, es war Sommer, Fenster auf, Musik volle Pulle laut und ich in freudigster Erwartung und Voreuphorie, da passierte es plötzlich:
Die Spur auf der ich fuhr war plötzlich zu Ende.
Rot-Weiße Verkehrsbauarbeitenpöller rasten auf mich zu, beziehungsweise ich auf sie.

Opel Corsa 1.0.
Tempo 160.
Vollbremsung.

Nichts passiert.
Yeah.

Nur fuhr der Wagen sich plötzlich so komisch und klang auch gar nicht gut.
Mehr als 100 KmH wollten auch nicht mehr erreicht werden, egal wie Heavy Metal-mäßig ich das Pedal to the Metal trat (Muhuhuahahaha).
Egal. Wird schon nichts Schlimmes sein.
Der Wagen muss sich nur erholen, oder so.
Erst mal zum Konzert jetzt.

Während ich mich in Arnhem mit meinem blöden Routenplanerausdruck zu orientieren und den Weg zum Stadion suchte, erblickte ich am Strassenrand ein großes, gelbes Verkehrsschild, auf dem in schwarzer Schrift: METALLICA stand. Daneben ein Pfeil der einem die Richtung zum Konzert wies.

Wenn sie für einen Verkehrsschilder aufbauen, dann hat man es geschafft.

Das Konzert war, wie zu erwarten - sensationell, mein Damen und Herren.
Wenn es nicht so gerockt hätte, ich hätte weinen müssen.

Nachts dann wieder zurück.
Mein Wagen fuhr immer noch so komisch, klang immer noch komisch und fuhr immer noch unkomisch langsame 100 KmH trotz Pedal to the Metal.
Zurück in Köln ließ ich das gute Stück (Monate später) untersuchen.

"Tja Herr Plattner, Das ist leider eine Bruch der Vorderachse. Was haben sie denn damit gemacht?"

"Jaja, was kost das denn?"

"So ca. 1300 Euro wird's schon kosten, plus Kostenvorschlag von ca. na sagen wir mal 400 Euro."

"Hmmmmm. Was wär' denn der Wagen wert, wenn die Achse in Ordnung wär'?" (doppelter Konjunktiv)

"Knapp 1500."

Das Ende vom Lied war, dass ich den Wagen für 300 Euro verkloppt habe.

Mein Konto fing bereits an, vor lauter Nässe wahnsinnig zu werden. Nachts rief es nach mir und zog mich in sein feuchtes Grab. Es schickte seine Häscher in Form von Mahnungen und Zwangsvollstreckungen aus. Rückblickend weiß ich nicht mehr, wie ich den nassen und modrigen Händen meines bis zum totalen Anschlag voll- beziehungsweise blankgeballerten Kontos entkam.

Seitdem bin ich Bahnfahrer.
Und wegen a), b), c) und c1-3) ist das ja auch total gut so.
Seltsam ist allerdings die Verknüpfung, die man mit anderen Menschen hat, die die gleiche Bahn nehmen.
Also immer die gleiche Bahn zur gleichen Zeit.
Man kennt sich und doch nicht.
Wenn ich da so in der Bahn stehe und bestimmte Mitmenschen zum xten Mal sehe, macht man sich schon seine Gedanken und gibt ihnen bisweilen sogar Namen.
Die Namen sind vollends von Oberflächlikeiten abgeleitet, da man ja auch nichts Anderes hat.
"Der Dicke, die mit dem strohigem Haar, der O Bein Proll, Milchbubi im Billiganzug, die italienische Studentin, die wie Gracia von DSDS aussieht und...
DER BLINDE MIT DEN NASSEN AUGEN.

Der Blinde mit den nassen Augen, trägt keine Blindenbrille, wie man es sich als Nichtblinder doch eigentlich wünscht. Seine Augen tränen immerzu und dadurch ist seine komplette Augenpartie so nass, wie mein Konto seinerzeit. Außerdem lächelt er immer ein bisschen. Der Blinde, der um die Welt weint und dabei seelig lächelt. Mir geht dieser Unsinn durch den Kopf und bin froh, dass keiner meine Gedanken lesen kann. Alle würden sofort angeekelt von mir weichen. Oder schlimmer noch, mit dem Finger auf mich zeigen. Wenn er eine Brille tragen würde, würde ich mich wohler fühlen.
So eine Brille wie Stevie Wonder, Ray Charles oder Heino. Immer wenn ein Blinder keine Brille trägt, ertappe ich mich dabei, wie ich mir seine Augen anschaue. Die Augen eines Blinden sind meist unfokussiert, schauen in eine Richtung, in der es nichts zu sehen gibt, aber das kann dem Blinden ja auch egal sein. Mit voyeuristischer Neugier starre ich ihn aus den Augenwinkeln an. Immer begleitet, von der absurden und armseeligen Angst, dass er mich in Wirklichkeit ganz genau sieht, wie ich ihn so beobachte. Er sitzt oder steht in der Bahn, hält seinen Blindenstock vor sich, als wolle er mir damit demonstrieren, dass ich ihn ruhig anstarren könne. Vielleicht ist das eine Falle. Er ist gar nicht richtig blind und beobachtet mich seit längerer Zeit. Ich bin sein Experiment. Er nennt mich dann wahrscheinlich den glatzköpfigen Anstarrer, oder so etwas in der Art.
Gleiches mit Gleichem.
Ich finde aus Rücksicht, könnte er ruhig seine suppenden Augen verhüllen. Hat er eine Ahnung, was für gedankliche Abgründe sich in einem (oder nur in meinem) sehendem Kopf abspielen? Oder er weiß es eben ganz genau und grinst deswegen so vor sich hin. Als wolle er sagen: Jaja, ich weiß genau, dass Du dich schlecht fühlst, weil Du mich heimlich beobachtest und Dir dabei krankes und wirres Zeug zusammendenkst. Aber das ist mein kleiner Spaß. Eigentlich habe ich auch überhaupt nichts vor. Ich muss auch nirgendwo hin. Ich fahre nur Bahn, um Dich und Deinesgleichen zu irritieren. Wenn die Bahn an der Endstation angekommen ist, steige ich aus und fahre wieder zurück.
Solche Gedanken um- und durchfluten meine Gehirn. Ich fühle mich schlecht, obwohl das auch totaler Quatsch ist, weil - ist ja nichts passiert. Hab' ja niemanden beleidigt. Außer meiner unhöflichen aus-den-Augenwinkeln-Starrerei, die ja schon schlimm genug ist. Ich und Über-Ich im harten Nahkampfduell. Gewinnen tut sowieso nur die Verschrobenheit.
Puh, endlich steigt er aus. Fährt also doch nicht bis zur Endstation. Zumindest heute nicht. Vielleicht ist auch das seine Taktik. Ich schaue ihm hinterher.
Er lächelt.

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