Freitag, 20. Februar 2009

Obacht vor der Leere

Ich bin jetzt ja langsam in einem gewissem Alter (34 - geht noch), in dem viele viele viele Menschen Veränderungen an sich wahrnehmen. Man wird zum Beispiel von jungen Mitmenschen trotz wiederholten Duzens stramm weitergesiezt (Kreisch!) oder die Haare auf dem Kopf werden weniger, zumindest bei den Herren. Bei mir war es, wie so vieles, anders. Ich wusste schon mit zarten 18 Jahren, dass alsbald meine Pickel weg sind, meine lockigen, schwarzen Haare ebenfalls "fuck off" zu mir sagen werden. Dementsprechend ist dieses Thema für mich verarbeitet und zwar schon ewig. Davon abgesehen, kann ich ohne jede - oder zumindest nur wenig - Eitelkeit sagen, dass mir meine Glatze gut steht. Eigentlich kann ich dem lieben Gott nur auf Knien für den Verlust meines Haares danken, denn wenn ich mir jetzt so alte alte, ganz alte Fotos anschaue, auf denen ich noch eine dichtbehaarte Murmel spazieren trage, so muss ich leider zugeben, dass ich mit Haaren echt scheiße ausgesehen habe. Aber voll! Vorteil an der ganzen Nummer ist, dass jetzt so langsam aber sicher sämtlichen meiner männlichen Freunde und Bekannten ebenfalls die Haare ausfallen. Und genau für diese Jungs ist es nicht einfach. Überhaupt nicht! Da sie Zeit ihres Lebens immer mit einem ordentlichem Haarwuchs ausgestattet waren, ist das plötzliche Verlieren der Haare, die beginnende Mönchstonsur, der angebliche Wirbel, der einfach zu viel Licht auf die Kopfhaut fallen lässt (Jaja, Wirbel), die sich immer tiefer hineinfräsenden Geheimratsecken (die gnädigste Variante des Haarausfalls), der immer breiter werdende Mittelscheitel nur kaum bis gar nicht zu ertragen. Jahrzente der Emanzipationsbewegung haben dazu geführt, dass Männer jetzt ebenfalls Essstörungen haben, sich die Schultern waxen lassen, ins Fitnessstudio rennen, Kalorien zählen, radderdoll (geiles Wort) auf Shoppingexzesse sind, sich die Zähne bleichen lassen und und und. Ich beobachte da immer die gleichen Reaktionen auf den beginnenden Verlust der langen Hornfäden. Zuerst werden Mützen wesentlich häufiger als Modeaccessories genutzt, die weniger werdenden Haare werden total crazy strubbelig getragen oder auch wasserstoffblondiert (diese Phase habe ich ebenfalls hinter mir - na ja, auf der hellen Kopfhaut ist der Kontrast bei blonden Haaren nicht so groß wie bei dunklen. Die kahler werdenden Stellen lassen sich so leichter vertuschen. Außerdem sah ich damit ein bisschen aus wie Bruce Willis in "Das fünfte Element"...dachte ich, beziehungsweise hoffte ich.) Erstaunlicher ist aber die mit der Ausdünnung der Haare verbundende Dünnhäutigkeit des Gemüts. Anstatt drüber zu stehen, oder zumindest so zu tun, als ob man drüber stünde, reagieren auf die beginnende Kahlköpfigkeit angesprochene Männer immer offensichtlich getroffen, bestenfalls versuchen sie das Thema wegzugrummeln.
"Ey, bei Dir guckt aber am Hinterkopf auch schon ganz schön das Knie durch, oder?"
"Was?...ja, naja. Komm ey...lass mich damit bloß in Ruhe...grummel grummel."
Ich frohlocke dann innerlich immer und denke mir dann: Jaja, mein Freund. Ich hab' die Scheiße schon hinter mir. 99% meines Freundeskreises kennt mich überhaupt nicht mehr mit Haaren. Bei mir ist das quasi Teil meines Images, aber bei Dir gehts jetzt erst los. Krchrchrchrchkicherglucks.
Mit der Häme des Armen, der den Reichen genüsslich dabei beobachtet, wie er, weil er all sein Geld verloren hat, jetzt neben ihm in der Mietkaserne einziehen muss, beobachte ich den coolen, blonden Surferdude (ich habe keinen einzigen Surferkumpel, aber es ist halt ein schönes Bild), der jetzt jeden Morgen viel Zeit vor dem Spiegel damit verbringt, seinen kreisrunden Haarausfall durch geschicktes Zukämmen auszugleichen. Wo das endet, ist klar: Sardine oder Schnecke.
Die Sardine und die Schnecke sind zwei mittlerweile glücklicherweise aus der Mode gekommenen Variationen, um mit den noch verbliebenen Haaren vom Schädelrand die große freie und fleischige Stelle in der Mitte des Schädels zu verdecken. Bei beiden Varianten läßt sich der Träger eine Seite deutlich länger wachsen. Bei der Sardine klatscht er diese dann unter Zuhilfenahme von viel viel viel Pomade einmal von links nach rechts oder anders herum, bei der Schnecke handelt es sich, um die kaum noch in ihrer Armseeligkeit und ihrem ungelenken Versuch den Haarausfall zu kaschieren großen Schwester der Sardine. Die Haare vom Schädelrand sind deutlich länger als bei ihrer Anfänger-Variante, der Sardine. Rüberklatschen ist für Pussys, mögen sich die Schneckenträger denken und drapieren indessen ihr Haar kringelig und eingerollt wie ein Schneckenhaus auf ihrem Haupt.
Die Motivation für dieses Verhalten muss der tatsächliche Glaube sein, dass man so nicht sieht, dass ihnen die Haare ausgefallen sind.
Das ist wahnwitzig, aber so ist es wohl.
Außerdem stelle ich mir immer vor, wie das Haar bei den Sardinen- und Schneckenträgern, wenn es unter der Dusche nass geworden ist, auf einer Seite lang und fies herunter hängt.
Dann stell ich mir immer vor, wie es auch im trockenem Zustand den ihm zugedachten Platz auf dem Schädel verliert und wirr herumwedelt, wenn der Träger sich größeren, körperlichen Aktivitäten aussetzt, wie zum Beispiel Sex.
Zum Glück kann man wahrscheinlich davon ausgehen, dass das Tragen einer Sardine oder einer Schnecke der Entscheidung zu einem Leben im Zölibat gleich kommt.
Das zumindest will ich hoffen.
Bei Frauen verhält es sich mit dem älter werden anders. Und ich rede hier nicht von irgendwelchen körperlichen Verfallserscheinungen. Drauf geschissen, wenn ich das mal so sagen darf.
Nein, was mich jedesmal wieder total iritiert, ist die Tatsache, dass wenn Frauen zu Müttern werden, sich etwas Entscheidendes bei ihnen verändert.
Grundsätzlich begrüße ich es, wenn man Kinder bekommt, da Kinder ja a) prinzipiell schon mal 'ne gute Sache sind. b) Der Drang nach - ja, sagen wir es ruhig - Fortpflanzung, neben der Menstration die natürlichste Sache der Welt ist. c) Irgendjemand schließlich die Rente zahlen muss und d) man mit Kindern einfach so viele, tolle Sachen machen kann. Schließlich sind sie, sofern es die Eigenen sind, einem total ausgeliefert und ich meine das nicht in irgend einer ungesetzlichen Art und Weise, die die Leser, der schon lange und zu Recht eingestellten FKK-Magazine mit so blumigen Namen, wie "Sonnenfreunde", "Der Naturist" oder "Jung & Frei" eventuell gerade aufhorchen ließ, nein - ich meine die vollkommen legale und gesellschaftlich geduldete, ja gern gesehende Projektion, der eigenen, niemals erreichten Lebensziele auf die eigenene Brut.
"Ich melde dich in der Musikschule an und dann wirst du Gitarre lernen, E-Gitarre."
"Aber Papa, ich möchte viel lieber Klavierunterricht haben..."
"Halt's Maul in spätestens 13 Wochen will ich dass Solo von "Master of Puppets" hören und ich meine nicht von CD, Männeken!"
Das ist toll. Die Kinder als Fortsetzung des eigenen Lebens, Schaffens und Wirkens.
Ich finde es auch geil, wenn man sein Kind genau so nennt, wie man selbst heißt, nur mit dem Fortsatz "junior", oder wenn es schon die zweite Fortsetzung ist, dann "der Dritte".
Geil.
Geht leider meines Wissens nur bei Jungen.
Wieder ein Grund mehr, darauf zu hoffen, dass man einen Jungen bekommt.
Es geht dabei übrigens wesentlich seltener um irgendwelche alten patriachischen Muster, sondern viel mehr um das Wissen, dass man als Mann sowieso immer schlechtere Karten hat. Die Frau lässt das Kind in sich heranwachsen, gebärt und stillt es. Der Mann weiß instinktiv, dass er da erst mal keine Schnitte hat. Wenn das Kind dann auch noch ein Mädchen wird...ja wozu wird man dann überhaupt noch gebraucht. (Ich habe es übrigens vermieden, in dem vorangegangenem Satz "man" mit einem zweiten "n" in Klammern zu schreiben. Es gibt kaum ein abgehangerenes Wortspiel, wenn es überhaupt diese Bezeichnung verdient hat, aber das nur am Rande.)
Aber egal, wie großartig Kinder auch sein mögen, ein guter Freund von mir sagt immer: "Kinder sind fast wie kleine Menschen.", kann ich trotzdem einfach nicht begreifen, warum mit den Müttern das passiert, was mit ihnen passiert, wenn sie Mütter werden. Jede Frau, die ich kenne, JEDE, egal wie toll, cool, stylisch, lässig, stark, eigenständig, emanzipiert, kreativ, künstlerisch, selbstverwirklichend sie auch sein möge, tut es.
Wir leben in einer modernen und vernetzten Welt. Internetforen wie StudiVZ, MySpace, Facebook, Xing, StayFriends und was weiß ich, was es nicht noch alles gibt, sind mittlerweile Standard und nahezu jeder ist irgendwo Mitglied. Und was geschieht immer und immer wieder? Frischgebackene Mütter tauschen ihr Profilbild aus und ersetzen es gegen eines, auf dem sie mit ihrem Kind zu sehen sind.
Warum?
Ich bin doch auf dem Profil der Frau, oder?
Oder bin ich auf dem Profil der Mutter?
Sind Frauen, wenn sie zu Müttern geworden sind automatisch nur noch Mütter?
Ist das die Vorstufe zu einem Klingelschild auf dem steht: "Hier leben, lachen, streiten und versöhnen sich wieder die Dingsbumsens"?
Dieser Eindruck drängt sich ja geradezu auf.
Gibt es sie jetzt nicht mehr losgelöst, diese Frauen?
Existieren sie nur noch als Mutter-Kind-Einheit?
Klar, sie sind stolz auf ihren Nachwuchs, aber das sind Väter auch und trotzdem bleiben deren Profilbilder unverändert. Erst später, wenn die Ehe in die Brüche gegangen ist, gibt sich der Mann gerne als Vater und veröffentlicht Fotos, die ihn mit seinem Kind zeigen. Frauen finden das dann gut und süß. Das ist die konsequente Fortsetzung des Schwarzweiß-Posters mit dem Muskelmann, der ein Baby in seinen starken Armen hält, dass sie mit 16 Jahren an der Wand ihres Zimmers hängen hatten. Das hing direkt neben dem Poster von dem tödlich verwundeten Soldaten, der sterbend stürzt, die Arme hochreißt und oben drüber in fetten, schwarzen Lettern "WHY?" steht.
Die Frage bleibt aber, warum Frauen das machen. Warum präsentieren sie sich auf Portalen und Foren, die von aller Öffentlichkeit eingesehen werden können, also auch von Geschäftspartnern oder eventuellen Chefs in spe, als Muttertier und offenbar ausschließlich als solches? In dem Feld "Interessen", in dem vorher Dinge wie: Yoga, Thailand, Kochen, Fotografieren, oder Ägyptologie standen, steht jetzt an erster Stelle: Meine Tochter Lena, oder Paula, oder Cosma, oder Mika.
Klar steht das Kind an oberster Stelle, aber entschuldigen Sie bitte, meine Dame: Das versteht sich doch von selbst.
Ganz besonders schlimm wird es, wenn es sich bei den Müttern um alleinerziehende Mütter handelt. Die komplette Existenz wird total in den Dienst des Kindes gestellt. Ich weiß da aus eigener Erfahrung zu berichten, den meine Mutter war selbst eine Alleinerziehende. Als Kind fand ich es super und hab' es auch reichlich ausgenutzt. Manchmal warfen Freundinnen meiner Mutter vor, mich zu sehr zu verwöhnen, beziehungsweise mir alles in den Arsch zu schieben. Und ich muss sagen - stimmt schon. Sie bemühte sich halt mit aller Kraft, mir den fehlenden Vater zu ersetzen, was bedingt auch funktioniert hat. Natürlich gab es Momente, in denen ich sehr bedauert habe, keinen Papa zu haben, mit dem man Jungszeug machen kann.
Ich kann mich zwar nicht mehr daran erinnern, aber einmal muss ich wohl ein bisschen rumgejammert haben, dass ich keinen Vater habe. Allerdings kann ich mich noch gut an das erinnern, was meine Mutter darauf hin zu mir sagte.
"Ja, das tut mir wirklich leid, mein Sohn. Ich weiß, dass das schwer für Dich ist...aber schau Dir mal die Väter Deiner Freunde an, ist da einer bei, den Du gerne als Vater hättest?"
"Nein!"

Meine Sehnsucht nach einem männlichen Rollenvorbild war wie weggeblasen.

Tja, so sind sie die Mütter. Das Kind ist das Wichtigste und das muss wohl auch ein Bisschen so sein.
Die Kehrseite dieser Medallie ist allerdings die drohende Depression, wenn das Kind aus dem Haus ist.
Ich bin 1995 ausgezogen, hatte zu diesem Zeitpunkt eine ganz schwere Zeit mit meiner Mutter, beziehungsweise sie mit mir. Ich war gerade 19 geworden, meine Pubertät war immer noch im vollen Gange und aufgrund eines totalen Hormonkrieges in meinem Körper (Nebeneffekt Haare, wir erinnern uns) war ich wohl ziemlich unausstehlich. Jahre später, meine Pubertät war inzwischen vollständig abgeklungen, veriet sie mir, dass sie nach meinem Auszug für einige Monate ein tiefes Loch empfunden hat, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kam und eine leere Wohnung vorfand.

Also liebe Mütter, die Ihr Euer Profilbild gegen eines, dass Euch mit Eurem Nachwuchs zeigt, austauscht - Obacht.
Irgendwann ist das Kind aus dem Hause und weil Ihr vor vielen Jahren bei Euern Interessen alles weggelöscht und gegen Euer Kind ausgetauscht habt, ist dann vielleicht nichts mehr übrig.


Ebenfalls im Jahr 1995 brachte meine Mutter allerdings auch eine wirklich schräge Aktion.
Sie hatte gerade kein aktuelles Foto von mir, Kinder verändern sich in dem Alter ja so wahnsinnig schnell, wollte aber eins in ihrem Portemonnaie mit sich führen, falls mal jemand kommt und fragt: "Wie geht's denn dem Deniz so? Und wie sieht er überhaupt aus?"
In dem Jahr 1995 hatte der italienische DJ Robert Miles gerade mit "Children", einem kommerzig-trancigem-soft-Tekno-Track, einen großen Hit und war auf dem Zenith seines Erfolges. In irgend einer Illustrierten entdeckte meine Mutter ein kleines Foto von ihm, auf dem er, wie sie meinte, genau so ausehen würde wie ich seinerzeit. Ohne viel Federlesens drum zu machen, schnitt sie es aus und steckte es in ihr Portemonnaie und wenn jemand wissen wollte, wie ich denn so aussehen würde, zeigte sie ihm das Foto von Robert Miles.
Hätte es damals schon das Internet für Hans und Franz gegeben, hätte sie das Bild womöglich bei "Interessen" gepostet.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wow...